Ausstellungen

Doppelausstellung Malerei / Fotografie

 

Ansprache Dr. Michael Becker / Schulleitung wfk

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie sehr herzlich zur Doppelausstellung Malerei und Fotografie.

Ein künstlerisches Werk jongliert immer kunstvoll zwischen Bekanntem und Unbekanntem. Wichtig scheint es für den Künstler zu sein, ein besonderes Verhältnis zwischen Vertrautem und Fremdem in einem Bild zu finden, um den Betrachter weder zu langweilen noch zu vergraueln. Wenn ein Werk überwiegend Bekanntes zeigt, fühlen wir uns bestätigt, unser Weltbild ist in Ordnung, es gibt keine Veranlassung, darüber länger nachzudenken oder etwas in Frage zu stellen. Werden wir auf der anderen Seite mit überwiegend Unbekanntem konfrontiert, bedarf es schon persönlicher Stärke, sich dem Anderen zu stellen und sich mit ihm nach und nach vertraut zu machen.

Wie fast immer im Leben bedarf es der besonderen Mischung aus Vertrautem und weniger Vertrautem, um eine produktive Neugier zu verspüren, um den kreativen Geist, die Vorstellungskraft phantasievoll anzuregen.

In einem Kunstwerk haben die unbekannten, unerwarteten Anteile einen entscheidenden Stellenwert. Denn sie sind es letztendlich, die dem Betrachter ein produktives Krisenmoment zur Verfügung stellen, durch die er bzgl. seiner Wahrnehmungs- und Interpretationskapazität herausgefordert wird. Hierdurch wird unsere Wahrnehmung zumindest schon einmal in einen sensibleren Zustand versetzt. Es öffnen sich Optionen des Sehens und Wahrnehmens, Vielfalt weicht Einfalt.

Dabei kommt dem Bild ein weiterer Mechanismus zugute. Bildhaftigkeit hat grundsätzlich eine enorme Suggestionskraft. Das Fremde in einem Bild, wenn es authentisch Gestalt angenommen hat, lässt sich nicht einfach ignorieren oder wegreden. Es wird bildhaft etabliert, es bleibt präsent. Man kann es nicht einfach wieder nach Hause schicken, sondern es bleibt, man muss es ertragen, es akzeptieren, mit ihm leben - im besten Fall bereichert das Fremde sogar unser Leben, vorausgesetzt, wir lassen es zu.

Die Auseinandersetzung mit Kunst ist in dieser Hinsicht das beste Integrationstraining, das man sich vorstellen kann. Kunst offenbart uns aber genauso, dass das Fremde seine eigene Qualität besitzt, insofern kann Integration nicht bedeuten, die Eigenschaften alles Fremden zu tilgen. Das Fremde in der Kunst bleibt fremd, selbst, wenn man es in seiner Fremdheit akzeptiert und verstanden hat. Widerständigkeit, Sprödigkeit sind wesentliche Merkmale des künstlerisch Fremden, und dieses gilt es in der Kunst zu bewahren und zu beschützen.

Beide Künstlerinnen nutzen in jedem Werk eine je eigene Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem, Verstörendem. Die vertrauten Anteile sorgen dafür, dass der Betrachter nicht gleich vor den Kopf gestoßen wird, er erfährt eine initiale Stütze, einen Ansatzpunkt, um von dieser gesicherten Warte aus sich den weniger vertrauten Anteilen widmen zu können.

Dabei ist es interessant zu erfahren, wie jede der beiden Künstlerinnen auf ihre je eigene Weise zu ihren besonderen Mischungen aus Bekanntem und Fremdem gefunden hat.

Bei der Kunstfotografin Delphine Lévy handelt es sich um die diptychonale Gegenüberstellung und Parallelisierung kunstvoller Verzerrungen und Irritationen von zumeist körperhaften Anmutungen, doppelt verstärkte Symbole des Nicht-Fassbaren unserer Lebenswelt und Ausdruck ästhetisierter Heimatlosigkeit.

Delaram Homayouni ihrerseits offenbart mit ihren künstlerischen und realistischen Arbeiten individuelle Quantensprünge, durch die gleichzeitig eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen geschlagen wird und gerade die Kunst als integratives, aber auch vermittelndes Moment unter Beweis stellt.

Hier zunächst nun eine kurze künstlerische Biografie von Delaram Homayouni

2000 – 2003 Besuch einer privaten Kunstschule in Isfahan, Iran
Schwerpunkte: Ölmalerei, Zeichnen und altmeisterliches Malen

2004 Künstlerische Ausbildung bei Siamak Azmi

2005 – 2013 Besuch einer privaten Kunstschule in Isfahan, Iran
Schwerpunkte: Komposition- und Farbenlehre, Kunstgeschichte, Kopie von altmeisterlichen Gemälden und Restauration

2004 – 2011 Gründung eigener Kunstschule Aram
Schwerpunkt: Vermittlung von Zeichen- und Maltechniken

2010 Zeichnen und Kunsttheorie bei Mahe Mehr

2011 Ausbildung in der Vali Art-Gallery, Teheran

2011 – 2012 Zusammenarbeit mit dem Künstler Hamed Sadrarhami für den freien Kunstmarkt

2013 Nach Deutschland (Frankfurt a.M.) ausgewandert

2015 Beginn eines Vollsemesterstudiums an der Wiesbadener freien Kunstschule

2016 – heute Dozentin für fotorealistische und altmeisterliche Malerei und Zeichnen an der Wiesbadener freien Kunstschule

 

Unsere Kunstfotografin Delphine Lévy ist in Paris aufgewachsen, während ihrer Jugend lernte sie klassisches Ballett in Paris und Genf sowie Theaterspiel in Paris. Durch die Mutter, die professionelle Ballettänzerin war, entwickelte sie Interesse für die Kunst. Nach einem Eintauchen in die Subkultur Berlins sowie wechselden Wohnsitzen in Genf, Zürich, Barcelona, London absolvierte sie diverse Sprach- und Web-Designausbildungen in Wiesbaden. Zudem arbeitete sie als Dozentin für Französisch, Übersetzerin für große Firmen im Rhein-Main-Gebiet. 2012 lernte sie autodidaktisch Fotografie, 2013 entdecke sie durch Zufall die WFK und blieb ihr bis heute treu.

Gehen wir zunächst genauer auf die fotografischen Arbeiten von Delphine Lévy ein: Sie präsentiert uns, wie sie selbst sagen würde, Prismen des Unbehagens. Zweifellos wird der Betrachter bei der Suche nach Gewohntem irritiert. Dadurch, dass die verzerrten Formen und Figuren keine eindeutige Identifizierbarkeit ermöglichen, keimt das Gefühl des Unbehaglichen auf. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um ganz normale und alltägliche Motive. Erst der fotografische Ausschnitt und ungewöhnliche Inszenierungen führen zu Abstrahierungen, die jedoch nicht in gemütlicher Ungegenständlichkeit verharren, sondern ihrerseits das nicht gelingen wollende Einordnungsgebaren unseres Verstandes zu grotesken, skurrilen oder gar horriblen Formen herausfordern. Allerdings gibt es auch gemäßigtere Kompositionen, die ihrerseits durchaus auch zu rätselhaften Sujets mutieren.
Gegen 16.30 h wird Delphine Lévy im Übrigen eine Führung durch ihre Ausstellung anbieten.

Delphine Lévy stellt die Kunst ins Zentrum ihres Lebens. Jede freie Minute wird genutzt, um den Geheimnissen und Anforderungen der Kunst näher zu kommen. Im Anschluss an diese Ausstellung plant sie zudem eine Bereisung der Beneluxländer sowie Deutschland und Österreich, um mit ihrer Kunst interessierte Partner ausfindig zu machen und mit neuen künstlerischen Projekten durchstarten zu können.

Die Malerei von Delaram Homayouni kreist um das existentielle Problem von Verwurzelung und Freiheit. Delaram Homayouni erforscht anhand des Elementes Baum die mythologischen Erkenntnisstrukturen des zeitgenössischen Menschen.

Die künstlerische Biografie von Delaram Homayouni ist insofern interessant, als sie in den letzten 20 Jahren eine hochspezialisierte Ausbildung in Techniken der fotorealistischen Malerei in ihrer ursprünglichen Heimat Iran verfolgte sowie dort selbst eine eigene Kunstschule führte, in der sie ihre Fertigkeiten der realistischen Malerei an ihre Schüler weitertragen konnte. In unserem Malatelier angrenzend zum Sekretariat finden Sie entsprechende Kostproben ihres realistischen Könnens. Das künstlerisch Fragwürdige dieser Arbeiten motivierte sie, sich immer mehr den Herausforderungen der freien Kunst zu stellen. Diese Auseinandersetzung führte zu den besagten Quantensprüngen, die Sie in den Baumstrukturen begutachten können. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man beide Werkreihen sicherlich nicht zusammenbringen. Und doch stammen sie aus derselben Hand, aber mit vollkommen transformierten geistigen Vorzeichen.

Im Schöpfungsmythos nimmt der Baum des Lebens und der Erkenntnis eine zentrale Rolle im Prozess der Menschwerdung ein. Auch die künstlerische Genese von Delaram Homayouni scheint sich am Baum abzuarbeiten, nicht durch Abbildung, sondern durch Offenbarung einer geistigen Struktur, die als produktives Arbeitsschema nutzbar wird. Ornamentales und Autonomes werden in ihren neuen Bildern oft miteinander kombiniert. Titel wie "Belastete Stärke", "Zentrum der Freiheit" etc. offenbaren das Spannungsfeld, in das sie die Dinge stellt und das auf ihr ungebändigtes geistiges Freiheitsbestreben zurückverweist.

Nun, wir können beiden Künstlerinnen nur wünschen, dass ihre kreative Phase noch lange andauert. Kunst ist immer auch ein Experiment mit der eigenen Person. Möge sie Ihnen die Kraft geben, Ihrem Leben eine produktive Wendung zu geben.

Vielen Dank und einen donnernden Applaus für Delphine Lévy und Delaram Homayouni.

 

Sie hören heute zum feierlichen Anlass die Wiesbadener Band Vinylmond: Die Wiesbadener Band VinylMond macht Funky JazzChillRock gepaart mit deutscher Lyrik. VinylMond besteht in dieser Formation seit ca. Juni 2017. Deutsche Texte voller Emotion und Tiefgang, schwankend zwischen Melancholie und Lebensfreude laden ein zum Mitdenken und Mittanzen.

Viel Spaß!

 

 

 

 

Wolfgang Becker